In der Chronik geblättert: “Zur Herstellung von Massefiguren”

Nach dem Niedergang des Bergbaus im 18. Jahrhundert wurden im Seiffener Raum zunehmend Pochwerke der Hütten in Drehwerke umgewandelt, die wesentlich für die Herausbildung der Holzbearbeitungstechniken waren. Drechseln, Reifendrehen und das Beschnitzen gedrechselter Grundformen bestimmten fortan die Herstellung hölzerner Spielwaren im erzgebirgischen Spielzeugland.

Eine besondere Erfindung in der erzgebirgischen Spielzeugherstellung waren Massefiguren.

Im 19. Jahrhundert stieg der Bedarf an Figuren für Weihnachtsberge, Paradiesgärten und Pyramiden beachtlich, was zur vermehrten Gründung von kleinen Handwerksbetrieben führte. Geringschätzig wurden diese oft als „Tägmännel-Macher“ bezeichnet.

Ursprünglich war Roggenmehl Hauptbestandteil der modellierbaren Masse, was zur Bezeichnung „Brotteigfiguren“ führte. Die Produkte waren sehr anfällig. Feuchtigkeit, Schimmelbildung und Insektenbefall beeinträchtigten die Haltbarkeit beträchtlich. Missernten und Hungersnöte verteuerten zudem die Beschaffung des Ausgangsmaterials.

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts löste Papiermaschee das alte Ausgangsmaterial ab. Grundlage für Papiermaschee, das letztlich zum Begriff „Masse“ führte, waren Papier oder Pappe, Bindemittel und Füllstoffe. Die Rezeptur für die modellierbare Masse war sehr unterschiedlich, wurde meist geheim gehalten und von Generation zu Generation weitergegeben. Die Masse wurde anfangs meist von den Produzenten der Figuren selbst hergestellt. Ausgangsmaterial war aufgeweichtes Papier, Leim, Kreide und teilweise auch Mehl oder feine Sägespäne.

Die Waldkirchner Hersteller kauften auch fertige Papiermasse aus der Papierfabrik Grünhainichen. Anfangs war das freihändige Modellieren verbreitet, später wurden meist selbstgefertigte Formen aus Holz, Metall oder auch Schwefel verwendet. Die Formhälften wurden mit Masse gefüllt, zusammengepresst und getrocknet. Nach dem Verputzen der Rohlinge wurden diese durch selbstgefertigte oder zugekaufte Teile komplettiert und bemalt.

1936 wurden in Waldkirchen 96 selbständige Gewerbetreibende genannt, darunter 3 Holzspielwaren- und 2 Massefigurenhersteller.

Die in unserem Raum bekannten Hersteller waren:

Ernst Hunger, Gornau

In Waldkirchen geboren, erlernte er auch hier die Herstellung von Massefiguren. 1920 verzog er aus familiären Gründen nach Gornau, wo er bis zu seinem Tod 1954 die Fabrikation weiterführte. Zwerge, Hirten und Schafe, Jäger und Wild gehörten zu seiner Produktionspalette, die er im eigenen Geschäft verkaufte oder an den Verlag Oehme in Waldkirchen lieferte.

Familie Grämer, Waldkirchen

Gründer des Unternehmens war Oskar Grämer. Er lernte die Herstellung von Massefiguren bei seinem Vater, der in Marienberg in einem Spielwarenbetrieb tätig war. 1905 verzog er nach Waldkirchen, wo er in einer Mietwohnung die Produktion aufnahm. 1918 schuf er mit dem Bau eines eigenen Wohnhauses die räumlichen Voraussetzungen für die Erweiterung des Produktionsumfangs. Eine große Werkstatt, ein Maschinenraum mit Kompressor, Trockenofen und einer Presse zur Herstellung von Zubehörteilen erlaubten die Beschäftigung von mehreren Frauen in der Fertigung.

Nach Studium der Wildtiere in der Natur modellierte er die Figuren selbst und goss die Formen dazu in Schwefel. Das Sortiment umfasste u. a. Wildtiere und Jäger, Haustiere, Exoten, Krippenfiguren, Soldaten und Bergleute. Auch Köpfe für Kasperpuppen wurden gefertigt.

Als Ausgangsmaterial benutzte er Papiermasse aus der Papierfabrik Grünhainichen, der er Schlämmkreise, Kehrmehl und Perlleim beimischte. Oskar Grämer produzierte Massefiguren bis zu seinem Tod im Jahre 1944.

Ernst Hesse, Waldkirchen

Ernst Hesse stammte als Sohn eines Bergmanns aus Pobershau. Bereits als Zehnjähriger lernte er in Marienberg Massefiguren herzustellen. Nach Invalidisierung verzog er 1904 nach Waldkirchen, wo er in einer kleinen Werkstatt an der Dorfstraße mit der Herstellung von Massetieren begann. Als er 1948 verstarb, führte seine Tochter Margarete Mißbach das Unternehmen fort. Schon als Schulkind war sie dem Vater eine tüchtige Hilfe gewesen. 1956 stellte sie die Produktion ein.

Das Sortiment umfasste vor allem Haustiere wie Ochsen, Pferde, Kühe und Schafe. Ochsen und Pferde wurden meist als Fahrtiere auf Brettchen mit Rädern geleimt und waren bei Herstellern von Pferdeställen, Bauernhöfen und Karussells zum Komplettieren gefragt.

Auch Hesse bezog das Ausgangsmaterial aus der Papierfabrik Grünhainichen. Der Papiermasse mischte er Kehrmehl und Knochenleim bei. Eine Spindelpresse wurde zum Drücken der Rohlinge eingesetzt. Die Formen fertigte er auf einer Holzplatte aus Blei. Für die Farbfassung wurde Leimfarbe verwendet. Verkauft wurde an Einzelhändler, Kleinabnehmer und das Verlagshaus Oehme in Waldkirchen.

Großer Beliebtheit erfreuten sich auch Massezwerge in unterschiedlichen Motiven bei der Komplettierung der im Erzgebirge weit verbreiteten Weihnachtsberge. Solche wurden auch vom Kleinproduzenten Wilhelm Heine hier in Waldkirchen hergestellt.

Olaf Bitterlich

Ortschronist